Positionen

Position des Ornithologischen Vereins Halle zum Beitrag in der MZ zur „Debatte Vögel in Neustadt“ vom 26.08.2021 und „Rat soll über Tauben abstimmen“ vom 08.09.2021

Die Stadttauben bzw. verwilderten Haustauben oder Straßentauben gehören zu einer jeden Stadt und wie im Artikel richtig festgestellt wird, …sind sie aus Neustadt nicht wegzudenken. Für die Altstadt trifft das ebenso zu.
Die Probleme, die Bürger und Verwaltung mit den Tauben haben, erwachsen aus ihrer Anzahl und den bevorzugten Aufenthaltsorten. Diese wiederum sind von verfügbaren Brutplätzen, Ruheplätzen und Nahrungsquellen abhängig. Die überaus anpassungsfähige Stadttaube lässt sich durch bauliche Taubenabwehrmaßnahmen zwar von bestimmten Bauwerken verdrängen, siedelt dann aber an anderen Örtlichkeiten ohne Ab-wehrmaßnahmen. Das dabei praktizierte „Sankt-Florian-Prinzip“ vieler Grundstückseigentümer mit Taubenproblemen führt aber nicht zu einer Reduzierung des Taubenbestandes, sondern nur zur dazu, dass sich die Tauben neue Brutplätze erschließen.
Diese Probleme sind seit langen bekannt und wurden früher oft mit tierschutzwidrigen Methoden gelöst. Als Vorreiter für eine tierschutzgerechte Lösung des Stadttaubenproblems in Städten darf wohl das „Augsburger Modell“ gelten. In den 1990er Jahren wurde in Augsburg die Idee entwickelt, an den Hotspots der Taubenvorkommen Taubenschläge zu installieren. Diese boten den Tauben neben artgerechtem Futter und frischen Wasser auch sichere Brutmöglichkeiten. Die Tauben nahmen dieses Angebot an und gaben die unsicheren Brutplätze an Bauwerken auf. Die im Taubenschlag abgelegten Eier wurden durch Eiattrappen ersetzt und so die Taubenpopulation kontrolliert und die die Nachwuchsrate sowie die Verschmutzungen an Gebäuden reduziert. Betrieben werden die Taubenschläge (heute 12 über das Stadtgebiet Augsburg verteilt) durch Ehrenamtliche (tierschutzverein-augsburg.de). Dieses Modell wurde auch in anderen Städten erfolgreich umgesetzt, so z.B. in Stuttgart (stadttauben-stuttgart.de) und Frankfurt (stadttaubenprojekt.de).
Auch in Halle gab es dazu Initiativen der Vereine „Stadttauben-Halle“ und „Tierschutz-Halle“, das Augsburger Modell umzusetzen. Leider scheiterte das bisher wohl an einer konsequenten Unterstützung durch die hallesche Stadtverwaltung. Es müssen Gebäudeeigentümer gefunden werden, die die Errichtung eines Taubenschlages an ihrer Immobilie langfristig zulassen. Das ehrenamtliche Engagement, solche Taubenschläge dauerhaft zu betreuen, ist jedenfalls vorhanden.
Wenn also wirklich ein Interesse zur Reduzierung der Taubenpopulation in Halle-Neustadt, auf den Markt und am Bahnhof besteht, dann funktioniert das nur mit einer entsprechenden Anzahl von betreuten Taubenschlägen und da wäre die Scheibe A ein Erfolg versprechender Standort.
Turm- und Wanderfalken sind sicher seltener als Stadttauben und haben bereits geeigneten Brutplätze in der Stadt besetzt. Der Turmfalkenbestand im Stadtgebiet ist mit reichlich 100 Paaren seit mehr als 40 Jahren stabil, ein Wanderfalkenpaar hat sich vor einigen Jahren im Südosten der Stadt angesiedelt. Turmfalken haben grundsätzlich keinen Einfluss auf die Stadttaubenpopulation, da sie nicht zu den Prädatoren der Stadttauben zählen, Habicht, Wanderfalke oder Uhu hingegen schon.
Ein zusätzliches Nistplatzangebot ist u. E. derzeit nicht erforderlich. Die mehrschichtigen Probleme mit den Stadttauben wird man jedenfalls mit einem zusätzlichen Turm- oder Wanderfalkenpaar nicht lösen!

Vorstand des
Ornithologischen Vereins Halle e.V.

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Position des Ornithologischen Vereins Halle e.V. zur geplanten Nordtangente und zum Gewerbegebiet Tornau/Oppin

Die geplante Nordtangente soll in Fortsetzung der fertiggestellten Osttangente die B100 mit einem neuen Gewerbegebiet zwischen der A14 und Tornau, einem Gewerbegebiet bei Sennewitz und dem Hafen Halle Trotha verbinden. Weiterführende Überlegungen zu einer anschließenden Saalequerung und Fortsetzung der Trasse bis zur A143 stehen ebenfalls im Raum (Informationen zum Projekt unter www.nordtangente.info).

Die Ornithologen der Stadt Halle befassen sich seit Jahrzehnten mit der Beobachtung und Bestandserfassung der in Halle und Umgebung brütenden und durchziehenden Vogelarten (https://www.ornithologischer-verein-halle.de). Die Ergebnisse unserer ehrenamtlichen Arbeit (Citizen Science) sind in zahlreichen Veröffentlichungen, u.a. auch in der ornithologischen Regionalzeitschrift „Apus“ publiziert. Von 2015 bis 2017 arbeiteten wir mit bei der Inventarisierung der Naturschutzgebiete, Geschützten Landschaftsbestandteile und Flächennaturdenkmale in der Saalestadt Halle und unterstützen damit das Projekt der GmbH Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, welche in diesem Jahr eine Neuauflage des Flora- und Faunainventars hallescher Schutzgebiete herausgeben wird. Wir sind also gut über den früheren und aktuellen Brutvogelbestand der Schutzgebiete informiert und auch über die Bestandsveränderungen in den letzten 30 Jahren. Vogelarten und deren Zu- und Abnahmen sind deutliche Indikatoren dafür, wie wir mit Natur und Umwelt umgehen.


Eine Vielzahl der insektenfressenden Kleinvögel (u.a. Grasmücken, Laubsänger, Rohrsänger, kleine Drosselvögel, Gelbspötter und Rauchschwalbe) sowie besonders die Brutvögel der Agrarlandschaft (u.a. Feldlerche, Ortolan, Rebhuhn und Wachtel) weisen leider keine positiven Entwicklungstendenzen auf. Das trifft auch für Rotmilan, Schwarzmilan und Mäusebussard zu, die auf Nahrung aus der Feldlandschaft angewiesen sind. Diese alarmierenden Feststellungen wurden in vielen Teilen Deutschland gemacht und sind u.a. vom Dachverband Deutscher Avifaunisten 2016 im Heft „Vögel in Deutschland 2014“ publiziert worden (www.dda-web.de). Dort werden als gravierendste Ursachen für diese Entwicklung die Änderungen der Nutzungsart und -intensität genannt. Diese Befunde werden auch durch die ganz aktuelle Stellungnahme der Leopoldina über den „Artenrückgang in der Agrarlandschaft“ (2018) bestätigt (www.leopoldina.org).

Trotzdem beabsichtigt die Stadt Halle eine weitere Straße am nördlichen Stadtrand zu bauen und ein 175 ha großes Gewerbegebiet zwischen Tornau und Oppin zu erschließen. Das Straßenbauprojekt soll durch eine relativ abwechslungsreiche Feldlandschaft führen und beeinflusst bzw. berührt damit gleich sechs der von uns untersuchten Schutzgebiete (GLB Goldberg, Mötzlicher Teiche, Park Seeben und FND Streuobsthänge südlich Seeben, Teich bei Seeben, Weiher und Lehmhügel westlich Seeben); weitere Gebiete, darunter das NSG Brandberge, wären bei einer Saalequerung und Weiterführung der Trasse zur A143 betroffen. Das Bergbausenkungsgebiet der Mötzlicher Teiche gehört zu den avifaunistisch wertvollsten und artenreichsten Bereichen der Stadt Halle! Es besitzt eine herausragende Bedeutung für Bewohner von Gewässern und Verlandungszonen und ist Lebensraum zahlreicher gefährdeter Arten. Durch den Straßenbau wären aber auch weitere wertvolle Habitate betroffen, die derzeit ohne Schutzstatus sind, wie Tümpel, Grünlandflächen, Trockenhänge und Kleingehölze in der Feldlandschaft. Es würde also eine ganz gravierende Änderung der Nutzungsart eintreten. Wo jetzt so gut wie kein Straßenverkehr stattfindet, würde durch diese Trasse massiver Auto- und, durch das vorgesehene Gewerbegebiet, auch erheblicher Schwerlastverkehr generiert, mit allen seinen negativen Auswirkungen auf die Vogelwelt. Genau diese großräumigen Flächenversiegelungen, die Zerstückelung von Naturräumen, der Eintrag von Lärm, Autoabgasen und Feinstaub sowie die Ver-armung und Entwertung von Landschaftsstrukturen und Schutzgebieten führten zu den oben genannten rapiden Bestandsrückgängen und zu nachhaltiger Artenverarmung. Hier würden mit städtischem Geld und Fördermitteln, auf jeden Fall mit Steuergeldern, Baumaßnahmen finanziert, die maßgeblich für weitere Verluste an biologischer Vielfalt verantwortlich wären. Und wo werden entsprechenden Ausgleichsmaßnahmen realisiert? Irgendwo ein paar Bäume anzupflanzen bringt den Vögeln der Agrarlandschaft gar nichts. Es müssten im oben genannten Umfang Flächen entsiegelt und rekultiviert werden, aber das scheint in der heutigen Zeit vollkommen unmöglich.

Die immer wieder ins Feld geführten Argumente, dass diese Straße den innerstädtischen Verkehr entlastet und ein Gewerbegebiet Arbeitsplätze und Steuereinnahmen bringt, ist vor diesem Hintergrund nicht stichhaltig. Eine neue Straße führt bei der heutigen Verkehrsentwicklung immer zu verstärktem Autoverkehr, ein eventueller Entlastungseffekt ist nach kurzer Zeit nicht mehr nachweisbar. Im Land Sachsen-Anhalt sind hunderte Hektar ungenutzte Gewerbeflächen ausgewiesen. Es kann also nur als verantwortungsloser Egoismus gewertet werden, hier, auf qualitativ hochwertigen Ackerböden noch ein weiteres neues Gewerbegebiet einzurichten und mit erheblichen finanziellen Mitteln die Feldlandschaft und damit den Lebensraum dort siedelnder Vogelarten zu zerstören.
Nur zwei aktuelle Beispiele, die die Folgen solcher Maßnahmen verdeutlichen:
Der NABU hat für das Jahr 2019 die Feldlerche, nach 1998 nun schon das zweiten Mal, zum Vogel des Jahres gekürt, eben weil die Brutbestände dieses „Allerweltvogels“ katastrophal abnehmen – auch im Raum Halle (http://www.nabu.de). Die Ursachen dafür sind in der industriellen Landwirtschaft, aber eben auch in den von der Stadt Halle schon vorgenommenen Flächenversieglungen begründet (Osttangente, Star Park A14).
Der Rotmilan brütet im Gutspark Seeben, an den Mötzlicher Teichen und gelegentlich am Goldberg, doch wenn die neue Straße quasi direkt unter seinen Horsten entlang führt, ist die Aufgabe der Brutplätze zu befürchten; Lärm, Beunruhigung und fehlende Flächen für die Nahrungssuche wären dafür die Ursachen. Aber gerade für diese Art hat Deutschland eine besondere Verantwortung den Brutbestand zu erhalten. Mitteldeutschland ist das weltweite Hauptverbreitungsgebiet des Rotmilans, 8% des Weltbestandes (derzeit: ca. 2000 Brutpaare, 1990: noch ca. 3500 BP) leben heute in Sachsen-Anhalt (Artenhilfsprogramm Rotmilan des Landes Sachsen-Anhalt). Durch den Trassenkorridor wären 3 BP des Rotmilans direkt betroffen.

Diese Fakten sollten den Entscheidungsträgern bekannt sein, aber gedanken- und bedenkenlos werden solche fragwürdigen Bauprojekte weiter favorisiert und die Zerstörung der Lebensräume von Pflanzen und Tieren und das zunehmende Artensterben billigend in Kauf genommen.

Vielleicht sollte die Stadt mit gutem Beispiel voran gehen und die Millionen in die Umsetzung alternativer Mobilitätskonzepte stecken, die mit vorhandenen Straßen aber weniger Autoverkehr auskommen. Das wäre dann vor allem natur- und umweltverträglich und würde ebenso Steuereinnahmen bringen.

Als Ornithologischer Verein Halle e.V. sprechen wir uns aus den hier dargelegten Gründen und den sich deutlich abzeichnenden negativen Entwicklungen, auch in der halleschen Avifauna, gegen den Bau der Nordtangente und gegen die Ausweisung des Gewerbegebietes aus.

Vorstand des Ornithologischen Vereins Halle e.V.

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